Vandog Trolly
Der fehlgeprägte Angsthund
Dem acht Jahre alten Old English Bulldog Rüde nahm sich Ben vor einiger
Zeit an. Er ist ein Angsthund, wie er im Buche steht und wird das vermutlich
für immer bleiben. Dem nicht genug ist Trolly sowohl motorisch wie auch
geistig etwas eingeschränkt. Seinen Namen verdient er sich immer wieder
durch Momente, in denen er mit seinen 30 kg in aller Seelenruhe auf der Leitung
steht und es einfach nicht merkt.
Wir können uns nur wage vorstellen, was mit diesem so treudoof dreinblickenden und
eigentlich total verschmusten grauen Bullie alles getrieben werden musste, um ihn zu einem misstrauischen, verängstigten und derart fehlgeprägten Vierbeiner zu machen. Als Gelber Hund stellt uns Trolly immer noch fast täglich vor neue Herausforderungen, die wir mittlerweile aber stets mit der nötigen Ruhe und Gelassenheit bewältigen. Mit der ungewissen Vergangenheit unseres Angsthundes fällt es uns auch heute noch gelegentlich schwer Situationen, die ihn triggern, vorauszusehen.
Hunde mit gewissen Auffälligkeiten, die an autistisches Verhalten bei Menschen erinnern, werden oft liebevoll Canis autisticus genannt. Natürlich ist es sehr schwer, diese geistige Behinderung auf die Wesenszüge eines Vierbeiners zu übertragen. Auch äußert sich Autismus in einer wahnsinnigen Vielfalt an Verhaltensauffälligkeiten und könnte kaum ein umfangreicheres Krankheitsbild sein. Jedoch sprechen schon wirklich viele Eigenarten unseres Trollys dafür, dass er neben einem Angstbeißer auch ein Autist ist.
Neben der Tatsache, dass er nicht unterscheiden kann, ob er angespielt oder angegriffen wird, stellt jede Art von Kommunikation seiner Artgenossen für unseren Trolly definitiv eine nicht verständliche Sprache dar. So kennt man das auch, von vielen Autisten. Unser Canis autisticus kann weder beschwichtigende noch ausweichende Zeichen bei fremden Hunden deuten und geht in jeder für ihn bedrohlich wirkenden Situation aggressiv vorwärts. Für ihn spielt es keine Rolle, ob der Vierbeiner gegenüber zitternd in der Ecke sitzt, schwanzwedelnd zum Spielen auffordert oder pöbelnd um sich bellt. Trolly kann weder all diese Makro- und Mikrosignale deuten, noch kann er sie senden. Er stellt keine Haare und gibt keine klassischen Drohgebärden oder Beschwichtigungen von sich. Wird etwas in seinen Augen zu gefährlich, dann schaltet unser Angsthund von einer Sekunde auf die andere um.
Zudem ist sowohl die allgemeine Auffassungsgabe wie auch das Konzentrationsvermögen von Trolly sehr eingeschränkt bzw. stark objektspezifisch ausgebildet. Ebenfalls ein klassisches Merkmal, welches Autisten aufweisen. Wochen lang hat es gedauert, bis er verstanden hat, was das Wort Sitz bedeutet. Gib Pfote bekommen wir bis heute nicht an ihn ran und obwohl wir unsere anderen beiden Vierbeiner mit dem Trainieren zahlreicher Tricks fit im Kopf halten, kommen wir bei unserem Autistenhund bei den einfachsten Kommandos bereits ans Ende unseres Lateins. Unser Trolly will definitiv gefallen und alles richtig machen, doch er begreift es oft schlichtweg nicht, was wir von ihm wollen. Nicht selten fesseln Dinge seine Konzentration, für die sich normale Hunde nicht im geringsten Interessieren. Besonders die unerklärliche Fixierung auf schwarze Gegenstände, zeichnet dieses Verhalten nochmals stärker aus. Aber nicht nur schwarze Steine oder Stofffetzen werden mit einem Übermaß an (aggressiver) Aufmerksamkeit überschüttet, auch komisch aussehende Äste oder Grashalme müssen augenblicklich und mehr als gründlich unter die Lupe genommen werden. Laufen wir mehrere Tage die gleichen Runden, werden ein und dieselben Stöcke tag täglich aufs Neue mit der gleichen Gründlichkeit untersucht.
Auch in der Motorik läuft bei unserem Trolly nicht wirklich jedes Rad rund. Für sein Alter absolut unangemessen oft stolpert und stürzt er in Situationen, wo sich seine Aufmerksamkeit auf scheinbar unwichtige Gegenstände in seiner Umgebung richtet. Die Koordination kommt in solchen Momenten bei unserem Vierbeiner irgendwie durcheinander und führt zu mehr als nur tollpatschigen Vorfällen. So hat es Trolly beispielsweise geschafft, beim Schlendern an der Promenade Kroatiens urplötzlich ins kühle Nass des Hafenwassers zu purzeln. Eine schwarze Tüte hatte Sekunden zuvor seine Aufmerksamkeit derart stark gefesselt, dass er beim Weiterlaufen einfach über den Steg hinaus trat und ins zwei Meter tiefer gelegene Hafenwasser stürzte. Ohne Panik oder Hektik ließ er diesen Sturz über sich ergehen und blickte uns komplett konsterniert vom Wasser aus an. Zweifellos entzog sich dieser Vorfall seiner Auffassungsgabe.
Wie so oft bei Autisten, bringt es unseren Vierbeiner immer wieder komplett aus dem Konzept, wenn sich irgendetwas in seinem Umfeld ändert. Gewohnheit ist etwas elementar Wichtiges für unseren Trolly – wie praktisch, dass wir ein Vanlife führen. Jeden Morgen, den wir auf einem neuen Stellplatz erwachen, springen Chelly und Korny freudig aus dem Van und erkunden den neu angelegten Garten des Heims. Trolly hingegen stand lange Zeit unzählige Minuten an der Schwelle der Haustüre, um sich auf die veränderte Umgebung einzustellen. Der Stress, den er beim Laufen neuer Runden hatte und die Unsicherheit, den Van zu verlassen, war unserem Angsthund schon von Weitem anzusehen. Mittlerweile ist Vandog Trolly vermutlich derart stark reizüberflutet, dass es ihm immer besser gelingt, sich auf harmlose neue Situationen zügig einzustellen. Immer seltener hat unser Canis autisticus wirklich starken Stress, wenn er Gassi gehen muss und dabei seine neue Umgebung erkundet. Unverzichtbares Gewohnheitselement stellt dabei allerdings das Körbchen unter dem Tisch dar. Solange die sichere Höhle zum Rückzug zur Verfügung steht, ist unser Angsthund schnell zu beruhigen. Selten ist er frewillig aus dem Körbchen zu bekommen und auch wenn wir tagelang an derselben Stelle stehen, liegt er lieber den ganzen Tag im Bett wie sich vor dem Van mit den anderen beiden zu sonnen.
Eine Bindung zu unserem Trolly aufzubauen hat unwahrscheinlich lange gedauert und ist absolut nicht mit der Beziehung zu unseren anderen beiden Vierbeinern zu vergleichen. Unser autistischer Angstbeißer macht es uns nicht leicht, ihm zu beweisen, dass die Welt auch noch Gutes für ihn bereit hält und ihm der Himmel nicht auf den Kopf fallen wird, wenn er sich aus den Gemäuern seiner sicheren Burg herauswagt.
Wir haben es aber zu unserer Lebensaufgabe gemacht diesem Problemhund, der kaum etwas kennt, auf alles losgeht, was ihm Angst bereitet und der durch seine Fehlprägung vermutlich niemals mehr komplett sozialisiert werden kann, ein Zuhause in unserem Van zu schenken. Seine aggressiven Verhaltenszüge machen Trolly zwar stellenweise unberechenbar, doch schuld daran sind ausschließlich die Vorfälle in seiner Vergangenheit. Im Herzen ist Trolly ein unwahrscheinlich liebesbedürftiger Kerl, der zweifelsfrei sorgsam aber auch ebenso achtsam behandelt werden muss.
Das Leben mit einem derart tollpatschigen Angsthund kann ganz schön anstrengend aber auch ebenso witzig sein. Die Highlights dieser besonderen Erlebnisse halten wir in Trolly's persönlichem Tagebuch fest.