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Reisetagebuch Ungarn 3/3

Vom Zigeunerdorf in die Heimatstadt


Seit fast zwei Monaten sind wir jetzt in Ungarn unterwegs und an einer tollen Urlaub gegen Hand-Stelle beim Haussitten stecken geblieben. Ein ganzes Haus für uns allein mit viel Ruhe, um zu uns zu kommen, war genau das, was wir gebraucht haben. Viel von Ungarn haben wir nicht gesehen, aber einiges über uns und unsere Vierbeiner haben wir gelernt.

Gerade für die Hunde und uns war dieser Stopp unwahrscheinlich lehrreich. Trolly machte viele Fortschritte beim Anti-Aggressions-Training und auch wir lernten viel über ihn und unsere anderen beiden Vierbeiner. Durch die unzähligen Straßenhunde im Dorf hatten wir jeden Tag Hundeplatztraining direkt vor der Haustüre. Viele der Tiere auf der Straße lebten unter schrecklichen Bedingungen und es zerbrach uns das Herz, dass wir sie nicht alle retten konnten. Doch einige Hunde durften sich auch frei auf Hof und Einfahrt bewegen. Sie waren sehr aufgeschlossen, neugierig und freuten sich schon förmlich jeden Tag auf uns, wenn wir um die Ecke gelaufen kamen.

Eine junge Hündin hatte es uns dabei ganz besonders angetan. Die süße Maus Remény, wie wir sie tauften, ist vermutlich ein Labrador-Mischling und wurde offensichtlich viel getreten und geschlagen. Unfassbar war dabei die Gutmütigkeit und das Vertrauen, welches sie uns dennoch entgegenbrachte. Genau dieses Verhalten allerdings, würde sich schnell ändern, wenn sie noch weiter unter solchen Bedingungen leben müsste. Remy war kaum ein Jahr alt und binnen einer halben Stunde leichten Trainings konnte sie bereits das Kommando Sitz. Nach zwei Tagen ließ sie sich Abrufen und nach fast einer Woche apportierte sie Trollys Ball perfekt in die Hand. Doch zwischen all der Zeit, die sie mit uns spazieren ging, war sie irgendwo da draußen, auf der Straße. Wir mutmaßten, dass sie zu einem Hof gehören musste und fühlten uns darin zunehmend bestärkt, als wir die immer schlimmer werdenden Scheuermale an ihrem Hals bemerkten. Manchmal tauchte Remény Tage lang nicht auf und dann war sie plötzlich wieder da. Eines Tages folgte Korny ihr sehr weit durch das Wohngebiet und wir riefen ihn nicht ab, da wir wissen wollten, wo die süße Maus wohnte. Beide liefen wir den Hunden hinterher und fanden schließlich heraus, zu welchem Hof Remy gehörte.


An einen Strick, der gerade mal einen Meter länge hatte, wurde die junge Hündin direkt vor der Türe eines schäbigen Hauses stets angebunden gehalten, um dieses zu beschützen. Ein denkbar schlechter Wachhund war es, den sich diese Zigeunerfamilie da zugelegt hatten, doch das begriffen diese Menschen natürlich nicht. Freiwillig wurde Remény sicher nicht vom Strick gelassen. Nein. Wir vermuteten, dass die arme Maus es alle paar Tage schaffte, ihren Strick durchzubeißen, um so aus der Gefangenschaft zu entkommen und durch die Straßen streunen zu können. Sie suchte nach Kontakt zu anderen Hunden und Menschen, wollte einfach nur irgendwo dazu gehören und geliebt werden. Doch stattdessen wurde sie nur verscheucht und getreten und fühlte sich überall unerwünscht. Vom Hunger getrieben stand sie dann schließlich jeden Abend wieder vor der Türe ihrer Peiniger, um sich ein klein wenig Essensreste abzuholen. Bei dieser Gelegenheit wurde sie natürlich wieder angebunden und am nächsten Tag begann das Spiel von vorne. Reménys großes Glück dabei war es, dass sie nicht – wie üblich im Viertel – an eine Kette gelegt wurde, sondern an einen Strick, den die freiheitsliebende Hündin problemlos durchgekaut bekam. Remény ist übrigens ungarisch und bedeutet übersetzt Hoffnung.

Dieser liebesbedürftige und gutmütige Vierbeiner war zweifelsfrei fehl am Platz eines Wachhundes. Die Hündin war derart klug und anhänglich, sie stellte einen perfekten Seelenhund dar, den in Ungarn – ganz besonders in diesem Dorf – niemand zu schätzen wusste. Erschwerend kam für unser Gewissen hinzu, dass es Winter wurde und sich die Kälte Tag für Tag breiter machte. Die Hunde, die vollkommen schutzlos auf der Straße lebten oder – noch schlimmer – an einer viel zu kurzen Kette die kalte Jahreszeit überstehen mussten, taten uns zunehmend mehr leid. Selbst wir begannen in dem großen Haus zu frieren und schmissen immer mehr Holz in den Ofen, um wenigstens über die 20-Grad-Marke im Wohnzimmer zu kommen.

Jeden Tag redeten wir darüber, wie es weiter – und vor allem wohin es gehen – sollte. Dabei kamen wir immer wieder auf die junge Hündin zu sprechen. Der Wunsch wuchs ins unermessliche diesen unbezahlbaren Schatz von der Straße zu holen und ihm die Chance zu geben ein Seelenhund zu werden. Weihnachten rückte immer näher und selbst in Ungarn wurden die Straßen ein wenig mit romantischen Lichtern geschmückt. Wir begannen die Weihnachtsmusik und den Geruch von Plätzchen zu vermissen. Unsere Familien redeten oft von den Vorbereitungen fürs Weihnachtsfest und auch einige Geburtstage standen zur Weihnachtszeit an. Das Leid auf den Straßen wurde immer unerträglicher und wir suchten immer intensiver nach einem Zuhause für Remény, welches sich – wenn überhaupt – in Deutschland finden ließ. Oft meldeten sich Leute, die Remy kennenlernen wollten, sie aber nicht gleich behalten konnten. Verständlicherweise musste der passende Seelenmensch natürlich auch erst einmal seinen Seelenhund erleben, bevor der Funke überspringen konnte. Doch ohne ein festes Zuhause wollten wir die arme Maus nicht mitnehmen. Wir konnten sie im Notfall nicht behalten, das heißt, wir wären gezwungen sie kurz vor Weihnachten in ein deutsches Tierheim zu bringen. So sollte ihre Geschichte nicht enden. Nein.

Wir suchten also immer weiter und weiter, es wollte sich aber einfach niemand finden. Während unserer Runden durchs Wohngebiet bei kaltem und nassen Wetter wurde es für uns immer schwieriger über all das Tierleid hinwegzusehen. Schließlich fassten wir der Entschluss wenige Tage vor Heiligabend die Heimreise anzutreten. Wir sprachen uns mit Kamala ab und er kam nach Ungarn gefahren, um die Schlüssel entgegenzunehmen. Remény lebte immer noch auf der Straße und wir fieberten jeden Tag, ob wir sie wieder sehen würden oder nicht. Am Tag unserer Abreise schließlich meldete sich am frühen Morgen bei uns eine Frau. Durch unbeschreiblichen Zufall hatte sie von Remény erfahren und wollte sie kennenlernen. Wir telefonierten den ganzen Tag und für Irmgard schien es eine Fügung des Schicksals gewesen zu sein, die sie nicht verstreichen lassen wollte. Kurzerhand entschieden auch wir, Remy von der Straße zu holen und auf eine Fügung des Schicksals zu vertrauen. Wir packten die arme Maus nach unserer letzten Runde durch das Zigeunerdorf vollkommen spontan in unseren Van und machten uns auf den Weg nach Deutschland.

Zu einem Seelenhund, wie ihn sich jeder wünscht, entpuppte sich Remy bereits nach den ersten Stunden der Autofahrt. Als sie auf den Schoss von Jess durfte - für den sie eigentlich schon viel zu groß war - kam sie unfassbar schnell zur Ruhe und schlief sogar ein. Ein derart kluger, ruhiger, ausgeglichener und vertrauensvoller Hund musste einfach gerettet werden, darüber waren wir uns einig. Keine Sekunde bereuten wir unsere Entscheidung, als wir Remy so friedlich im rumpelnden und scheppernden Van schlafen sahen.

Unsere erste Anlaufstelle am nächsten Morgen stellte sogleich die liebe Irmgard dar, die Remény über die Feiertage auf Probe behielt. Bei dieser Frau, die auf so schicksalhafte Fügung zu uns und der klugen Remy gefunden hat, ist dieser Seelenhund mehr als nur Zuhause. Sie hat ihren Seelenpartner in Irmgard gefunden und wird hoffentlich noch lange Zeit ihre Aufgabe als Heilerin, Trösterin, Gutelaunemacherin und bedingungslos liebende Begleiterin erfüllen.


Wie unsere Zeit in Ungarn begonnen hat, kannst du im Artikel Reisetagebuch Ungarn 1/3 sowie dem Beitrag Reisetagebuch Ungarn 2/3 gerne nachlesen.


 


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